Neue Studie stellt die zwingende Notwendigkeit der Entfernung befallener Knoten bei Brustkrebs in Frage
Bei Brustkrebs ist die gängige chirurgische Vorgehensweise die Entnahme des Tumors sowie von einem oder zwei Wächterlymphknoten. Lymphknoten sind „Filter“, die aus den Lymphbahnen alles abfangen, was darin nichts zu suchen hat: Gifte, Erreger, Zellfragmente, gegebenenfalls auch Brustkrebszellen, die mit der Lymphe ausgewandert sind. Der Wächterlymphknoten, englisch auch „Sentinel node“ genannt, ist derjenige Lymphknoten, zu dem die Lymphe aus dem Tumorgebiet als erstes abfließt. Erst danach erreicht sie weitere Lymphknoten im Gebiet der Achselhöhle. Dieser Lymphknoten „wacht“ also über die anderen Lymphknoten. Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der erste Lymphknoten, in dem sich Tumorzellen ansiedeln.
„Seit geraumer Zeit versuchen Operateure bei Brustkrebs weniger radikal vorzugehen, indem sie diese Wächterlymphknoten aufspüren“, erläutert Professor Anton Scharl, Chefarzt der Frauenklinik und Leiter des Brustzentrum am Klinikum St Marien in Amberg. Findet der Pathologe im Wächterlymphknoten-Präparat keine Krebszellen, kann auf die Entfernung der anderen Lymphknoten verzichtet werden. Nur wenn der Wächterlymphknoten Krebszellen enthält, werden die anderen bis zu 15 Lymphknoten im Achselbereich ebenfalls entfernt.
Fällt die Operation im Bereich der Achselhöhle aufgrund dieses Verfahrens kleiner aus, treten erheblich seltener Probleme wie eine Bewegungseinschränkung des Arms, Gefühlsstörungen oder ein Lymphstau auf. Die Betroffenen sind nach der Operation schneller wieder fit und können bald wieder Sport treiben.
Doch nun weist eine Studie, bei der bei der Hälfte der Frauen ein axillärer Eingriff durchgeführt wurde und bei den anderen nur die Wächterlymphknoten entfernt wurden, darauf hin, dass die Achsel-Operationen vielleicht unnötig sind. So kommen Armando Giuliano vom John-Wayne-Krebsinstitut im kalifornischen Santa Monica und seine Kollegen zu einem klaren Ergebnis: Der schmerzhafte und von vielen Frauen gefürchtete Eingriff ist häufig nicht nötig. Er ändert nichts an dem Behandlungsplan, bringt keine Überlebensvorteile und verringert nicht die Gefahr, dass die Frauen später wieder an Krebs erkranken.
In der aktuellen Studie unterzogen sich alle Frauen einer Operation, bei der die Brust erhalten blieb. Im Anschluss folgte immer eine Bestrahlung. „Die Brust kann nicht bestrahlt werden, ohne dass eine gewisse Dosis in der Achselhöhle ankommt“, erklärt Prof. Dr. Anton Scharl, der auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) ist. Und weiter: „Ob das der Grund ist, warum es keinen Unterschied in den Gruppen gibt, wissen wir nicht.“ Zudem machten fast alle Frauen eine Chemo- oder Hormontherapie oder beides.
„Ärzte sollen künftig im Einzelfall entscheiden, ob eine Entfernung wirklich notwendig ist oder nicht“, erklärt Scharl. „Man sollte in jedem Fall gründlich darüber nachdenken“, sagt Scharl, der die aktuellen Studienergebnisse aus den USA trotzdem nicht als Weisheit letzter Schluss sieht. Methodisch sei der Studie anzulasten, dass die statistisch relevante Anzahl an Patientinnen weit unterschritten wurde. „Diese Studie ist zurzeit gerade bei gynäkologischen Onkologen im stetigen Gespräch, denn sie verändert letztlich das bislang bestehende Dogma, dass eine Achsel-Operation bei tumorbefallenen Wächterlymphknoten therapeutisch immer notwendig sei“, sagt Prof. Dr. Anton Scharl.
Da es sich bei Brustkrebs um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, die auch das Leben der Patientinnen bedroht, sollte der behandelnde Arzt sein Vorgehen mit der Patientin genau absprechen. Scharl sagt: „Als Arzt muss ich sicher sein, dass ich der Patientin durch den Verzicht auf etwas nicht schade.“